Satnam Singh: Opfer der brutalen Ausbeutung auf italienischen Feldern

Vor einer Woche verblutete der indische Landarbeiter Satnam Singh, weil ihm rechtzeitige Hilfe verweigert wurde. Sein Tod wirft ein Schlaglicht auf die entsetzlichen Bedingungen für Landarbeiter, die auf den Feldern Italiens als moderne Sklaven schuften.

Satnam Singh

Satnam Singh (31) starb am 19. Juni in einem Notfallkrankenhaus in Rom nach einem zweitägigen Martyrium. Am Montagnachmittag war er bei der Melonenernte auf einem Landgut in Borgo Santa Maria (Latium) in eine Maschine geraten, die Folien um fertige Kisten wickelt und abschneidet. Ihm wurden ein Arm vollständig abgetrennt und beide Beine gebrochen.

Singhs Chef, der Besitzer des Landguts Agro Pontino Alessandro Lovato, weigerte sich, die Ambulanz zu alarmieren, obwohl Singhs Ehefrau Alisha, ebenfalls Landarbeiterin, ihn auf Knien darum anflehte. Stattdessen ließ er Singh in einem Transporter nach Hause bringen und wie Müll vor dem Eingang abladen, den abgetrennten Arm in einer Obstkiste daneben. Erst die Mitbewohner reagierten auf die Schreie der verzweifelten Alisha und holten rasch Hilfe, so dass Singh im Rettungshelikopter in die Klinik in Rom gebracht werden konnte. Er hatte jedoch so viel Blut verloren, dass er zwei Tage später verstarb.

Nach einer Kundgebung am Samstag, auf der die lokalen Politiker Krokodilstränen vergossen, traten am Dienstag (25. Juni) mehrere tausend indische Landarbeiter in den Streik. Sie marschierten durch die Stadt Latina und riefen: „Schluss mit der Ausbeutung!“ Sie forderten Gerechtigkeit für Singh und das Recht auf festen Aufenthalt für seine Frau, sowie vernünftige Krankenpflege für alle verletzten Arbeiter.

„Wir alle brauchen reguläre Arbeitsverträge, um nicht in dieser Sklaverei gefangen zu sein“, sagte eine Wanderarbeiterin aus Indien zu AFP. Ein Arbeiter mit einem verletzten Auge berichtete, dass sein Chef nach dem Arbeitsunfall zu ihm gesagt habe: „Ich kann dich nicht ins Krankenhaus bringen, weil du keinen regulären Vertrag hast.“ Er kämpft seit zehn Monaten darum, Hilfe zu bekommen.

Das berüchtigte „Caporalato“ ist auf den italienischen Feldern weit verbreitet. Es ist ein illegales, aber übliches Ausbeutersystem, bei dem die „Caporali“ den Arbeitsmigranten alle Papiere abnehmen und sie an die Großbauern vermitteln, die sich weiter um nichts kümmern. Die CGIL schätzt, dass in Italien rund 230.000 Arbeiter ohne reguläre Verträge beschäftigt sind. So schuften Arbeiter aus Afrika, China oder Indien zu tausenden auf den Feldern, in der Textilindustrie oder am Bau ohne Papiere und für ein Taschengeld.

Die Gemüse- und Obsternte ist besonders berüchtigt. Einem Artikel im British Medical Journal zufolge bekommen Arbeiter dort für eine Achtstundenschicht (und nicht selten für längere Schichten) gerade mal zwölf Euro. „Die Menschen werden wie Kakerlaken behandelt; sie leben in Barackensiedlungen ohne Wasser, ohne sanitäre Einrichtungen und ohne Zugang zur medizinischen Grundversorgung. Etwa 100.000 von ihnen sind über ganz Italien verstreut.“ Mehr als 1500 Arbeiter, die von außerhalb der EU kommen, sollen demnach in den letzten sechs Jahren in Italien auf der Arbeit gestorben sein.

Das Landgut, auf dem Singh den schrecklichen Unfall erlitt, steht in der Pontinischen Ebene südlich von Rom. Hier hatte der faschistische Diktator Benito Mussolini seinerzeit die berüchtigten, malariaverseuchten Pontinischen Sümpfe trockenlegen lassen und das Land anschließend an regimetreue Bauern übergeben. Hier gibt es unter Landbesitzern und Gutsherren bis heute eine gewisse faschistische Tradition.

Die Lovato-Familie, Inhaber des landwirtschaftlichen Großbetriebs, auf dem Singh ums Leben kam, wurde schon vor fünf Jahren wegen „illegaler Vermittlung und Ausbeutung von Arbeitskräften“ angeklagt und verurteilt. Ein Skandal hatte aufgedeckt, dass der Gutshof seinen Arbeitern nur 200 Euro im Monat bezahlte. Auf der riesigen Pontinischen Ebene wurde damals ein „Caporalato-Netzwerk“ aufgedeckt, das gestützt auf Scheinfirmen und korrupte Beamte die Tagelöhner illegal und billig beschäftigt.

Seither hat sich kaum etwas geändert. So verdienen die Kollegen von Satnam und Alisha Singh auf den Feldern von Agro Pontino nur vier Euro in der Stunde bei einem bis zu 14-stündigen Arbeitstag.

Auf den schrecklichen Todesfall haben Gewerkschafter und Politiker aller Parteien mit den üblichen, folgenlosen Phrasen reagiert. Die Regierungschefin Giorgia Meloni verurteilte Singhs Tod als „inhuman und barbarisch“ und sagte, solche Taten gehörten „nicht zum italienischen Volk“; sie müssten „hart bestraft“ werden. Dabei steht ihre eigene Partei, die Fratelli d’Italia (FdI), für das Wiederaufleben der faschistischen Tradition und barbarische Gesetze gegen Einwanderung, die die Menschen in die Illegalität treiben.

Die Oppositionspartei Partito democratico (PD), bzw. ihr Vorstandsmitglied für Arbeit, Cecilia Guerra, warnte vor den Folgen, weil hier zweierlei zu Bewusstsein komme: Singhs Arbeitsbedingungen, die ihn nicht vor der Unfallgefahr schützten, und die „Abscheulichkeit derjenigen, die ihre Verantwortung vernachlässigten, indem sie diesem jungen Arbeiter keine Hilfe leisteten“. Offensichtlich sind die Politiker besorgt, dass der Fall einen Arbeiteraufstand auslösen könnte.

Tatsächlich wirft Singhs Tod ein Schlaglicht auf das beispiellose Ausmaß der Schattenwirtschaft und mörderischen Ausbeutung, die auf der Hefe des Kapitalismus und der migrantenfeindlichen EU-Abschottung entstanden sind. Verantwortlich sind nicht allein die jetzige und die früheren Regierungen Italiens, ob sie nun der Rechten oder der nominell „Linken“ angehören, sondern die ganze Europäische Union und ihre politischen Unterstützer. Die jüngsten Beschlüsse zum Asylwesen und zur Kriegs- und Sparpolitik werden die Zustände nur verschlimmern.

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